"So eine WM gab es noch nie!"

Autorengespräch mit Leo Wigger und Robert Chatterjee über die Fußball-WM in Katar

Die wohl umstrittenste Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten, die WM in Katar, beginnt in zwei Wochen. Grund genug, sich diese Sportveranstaltung der Superlative genauer anzuschauen. Dafür hatte der Nürtinger Bundestagsabgeordnete die beiden Fußball- und Nahost-Experten Robert Chatterjee und Leo Wigger vom Nahost-Magazin zenith nach Kirchheim eingeladen. Mit im Gepäck hatten sie ihr Buch „So eine WM gab es noch!“.  

Die Vorsitzende des Kirchheimer SPD-Ortsvereins, Tonja Brinks, eröffnete vor etwa 60 Gästen die Lesung mit einer ersten kritischen Einordnung der WM mit Blick auf Menschenrechte, einem möglichen Boykott und der Frage nach einer möglichen Arroganz des Westens.

Vor allem im Globalen Norden werden nämlich viele Aspekte rund um die WM in Katar kritisiert, unter anderem die katastrophalen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen für die WM-Stadien. Eine zentrale Prämisse bei der Vergabe der WM in Katar lautete aber, dass die Aufmerksamkeit der internationalen Fußballgemeinschaft zu Verbesserung der Menschenrechtssituation im Land führen wird. Schmid, der die Rolle des Moderators übernahm, griff daher eine zentrale Frage des Buches auf und fragte, ob sich in Katar seit der Vergabe überhaupt etwas verändert hat und ob dieser Reformprozess nach der WM weitergehen wird. Leo Wigger bestätigte, dass es Verbesserungen gegeben habe. So sei der Mindestlohn zum Beispiel auf 230 Euro erhöht worden, was in den Heimatländern der Gastarbeiter einen großen Unterschied machen könne. Zudem sei das Kafala-System mittlerweile reformiert worden. Dieses System der Bürgschaft zwischen Gastarbeitern und einem lokalen Bürgen hat ausländische Arbeitskräfte sehr vom Wohlwollen ihrer viel mächtigeren Arbeitgebern abhängig gemacht und führte unter anderem zu Zwangsarbeit und Missbrauch. Durch die Reform könnten Arbeitnehmer nun zum Beispiel  ohne Zustimmung ihren Job wechseln und so Missbrauch entkommen. Dennoch sei diese Reform-Entwicklung auf niedrigem Niveau geblieben. Chatterjee merkte aber an, dass auch weiterhin ein Hebel für Reformen bestünde, weil Katar auch in Zukunft internationale Sportveranstaltungen ausrichten wolle.

Neben der miserablen Menschenrechtssituation wird oftmals auch die Fußballkultur im Land und der Region bemängelt. Schmid stellte aber klar: Fußball gehört zur arabischen Welt dazu. Auch wenn er für die katarische Mannschaft wenige Chancen auf den Weltmeister-Titel sieht, bestätigte Wigger, dass Fußball eine sehr große gesellschaftliche Rolle in der arabischen Welt spiele. So seien zum Beispiel ägyptische Ultras durch ihre Erfahrungen mit der Polizei maßgeblich bei den Protesten des Arabischen Frühlings beteiligt gewesen. Daher bekämen diese organisierten Fan-Gruppen aus Nordafrika auch keinen Zugang zu den WM-Spielen. Generell hätten die katarischen Gastgeber weniger auf europäische Fußball-Fans gezielt, sondern vor allem Fans aus der Golfregion erwartet.

Die Situation in Katar wird aber nicht nur in Bezug auf die Fußball-WM diskutiert. Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise stellten Zuschauer auch die Frage nach der katarischen Abhängigkeit von Gas und seinen Rohstoffexporten. So war der deutsche Wirtschaftsminister nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine schon früh in Katar gewesen, um für eine Energiepartnerschaft zu werben. Katar werde aber nicht als Lückenbüßer herhalten, betonte Chatterjee. Das Emirat setze stattdessen auf langfristige Lieferverträge und Abhängigkeiten. Diese Strategie stehe klar im Gegensatz zur Entscheidung Deutschland, sich bei der Energieversorgung strategisch unabhängiger zu machen.  

Vom Publikum wurden aber nicht nur die katarischen Gastgeber kritisiert. Die grassierende Korruption im internationalen Fußball habe schließlich erst dazu führen können, dass die staatlich unabhängigen Sport-Fachverbände wie der DFB die Weltmeisterschaften überhaupt nach Russland und Katar vergeben haben. Angesichts von Korruption und Schmiergeld-Skandalen im Profisport sei es also auch Zeit, auch die Rolle der eigenen Fußballverbände kritisch zu hinterfragen.