Den Iranern helfen, aber am Atomdeal festhalten

Fremde Federn: Gastbeitrag von Nils Schmid in der FAZ.

Deutschland kann und muss den Iranern, die gegen ihr nicht reformierbares Regime aufbegehren, konkret helfen. In unserem Interesse ist aber auch die Rückkehr zum Atomabkommen. Ein Gastbeitrag des außenpolitischen Sprechers der SPD.

Über 250 Menschen wurden bislang bei den Protesten in Iran getötet, das schätzen Menschenrechtsorganisationen. Die Proteste, die nun schon seit über einem Monat in Iran stattfinden, führen uns vor Augen, mit welcher Brutalität das iranische Regime gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. Es geht dabei nicht nur um die Rolle der Frau im Islam, sondern auch um das Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit aller Iranerinnen und Iraner. In bisher nie dagewesener Lautstärke begehrt die iranische Gesellschaft gegen das autoritäre System der Islamischen Republik auf. Das Regime hat seine Legitimationsbasis völlig verloren und will mit schierer Gewalt die Macht sichern.

Spätestens jetzt muss klar sein: Das Mullah-Regime ist nicht reformierbar. Alle freiheitlich-demokratischen Kräfte sind gefordert. Für Deutschland heißt das: Es braucht einen Realitäts-check unserer Iranpolitik.

In Iran beobachtet man ganz genau, wie wir in Europa auf die Proteste reagieren. Das gilt für Parlamente, Regierungen und Zivilgesellschaften. Der Bundestag hat sich im Rahmen mehrerer Debatten auf die Seite der Demonstrantinnen und Demonstranten gestellt. Bei Reden allein bleibt es nicht. Auf unsere Initiative hin hat sich der Menschenrechtsrat in Genf mit der Situation in Iran befasst, und gemeinsam mit Frankreich hat Deutschland in Brüssel Sanktionen gegen Mitglieder des iranischen Sicherheitsapparates vorangetrieben. Weitere Leistungen müssen folgen, in enger Abstimmung mit unseren Partnern in den USA, Großbritannien und Kanada.

Auch auf nationaler Ebene sind wir längst aktiv geworden: Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat die Bundesländer zu einem Abschiebestopp nach Iran aufgefordert, der auf der nächsten Innenministerkonferenz beschlossen werden soll. Doch das reicht nicht.

Zentraler Ansatzpunkt muss sein, die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. In Ermangelung eines funktionierenden Rechtsstaats im Land selbst ist die internationale Gemeinschaft gefordert. Der UN-Menschenrechtsrat sollte einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus beschließen, der Beweise für die Verbrechen des iranischen Sicherheitsapparats sichert und für eine mögliche Strafverfolgung aufbereitet. Deutschland muss eine Führungsrolle einnehmen und schnellstmöglich als Sponsor eine entsprechende Resolution einbringen. Internationale Menschenrechtsorganisationen sind sich einig, dass davon kurzfristig eine abschreckende Wirkung auf den Iran ausgehen kann.

Es braucht konkrete Hilfe für diejenigen, die aufgrund ihrer Kritik am Regime Repressionen und Gewalt ausgesetzt sind und deshalb das Land verlassen müssen. Deutschland gehört zu den Ländern, die die höchste Zahl an Visa an Iranerinnen und Iraner erteilen. Jetzt müssen wir uns die Frage stellen, inwieweit formale Voraussetzungen aktuell erleichtert werden sollten, etwa der Nachweis, dass man nach Iran zurückkehren will. Das betrifft auch die Frage nach der Ausweitung humanitärer Visa. Ich finde, dass wir großzügig sein müssen.

Außerdem sollten wir die Iranerinnen und Iraner darin unterstützen, sich gegen die Internetzensur zu wehren. Sinnvoll wäre ein EU-Fonds, der auch in anderen autoritär regierten Staaten solche technischen Möglichkeiten eröffnet. Langfristig wäre zu überlegen, dass die EU den Aufbau eines satellitengestützten Kommunikationssystems ähnlich dem Starlink von Elon Musk vorantreibt, um die Offenheit des Informationsraums zu gewährleisten.

Wir müssen verhindern, dass Iran in den Besitz von Nuklearwaffen kommt. Es gibt aktuell keinen geeigneteren Weg dazu als eine Rückkehr zum JCPoA, das endverhandelt auf dem Tisch liegt. Deutschland hat gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien und der EU Verantwortung für die Weltgemeinschaft übernommen - ganz im Sinne der Zeitenwende.

Ein nuklear bewaffnetes Regime in Teheran wäre eine elementare Bedrohung der Existenz Israels. Der Nahe Osten insgesamt würde durch ein unweigerlich folgendes Wettrüsten enorm destabilisiert. Die Erfahrung aus Nordkorea zeigt, dass der Besitz der Atombombe die Macht von Diktatoren stärkt und die Möglichkeiten, von außen Einfluss zu nehmen oder gar Druck aufzubauen, deutlich reduziert. Der damalige US-Präsident Trump hat dies in anstößiger Weise bewiesen: Nordkorea mit seinen völkerrechtswidrig erworbenen Atomwaffen wurde hofiert, Iran mit seinem Verzicht darauf wurde sanktioniert.

Das JCPoA ist kein Freundschaftsabkommen, sondern ein eng begrenztes diplomatisches Werkzeug zur Wahrung überragender Sicherheitsinteressen. Es wäre fahrlässig, allein auf den Sturz des Regimes zu setzen, um die nukleare Bewaffnung des Irans zu verhindern - so sehr wir auf den Veränderungswillen des iranischen Volkes setzen. Das Mullah-Regime ist schlimm genug, ein Mullah-Regime mit Atomwaffen wäre noch deutlich schlimmer.

Wir brauchen einen klaren politischen Kurs gegenüber dem iranischen Regime, der beides schaffen muss: Eine iranische Atombombe verhindern und die Freiheitsrevolution in Iran unterstützen.

Veröffentlichung erstmals in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 28.10.2022:

https://www.faz.net/aktuell/politik/nils-schmid-den-iranern-konkret-helfen-am-atomdeal-aber-festhalten-18420666.html

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Redebeitrag von Nils Schmid im Deutschen Bundestag (09.11.2022):

https://dbtg.tv/cvid/7547750

Redebeitrag von Nils Schmid anlässlich einer Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag (29.09.2022):

https://dbtg.tv/cvid/7546498