Neue Impulse für unsere Beziehungen zu Russland

Gastbeitrag im Online-Newsletter "Verteidigung. Streitkräfte. Wehrtechnik", Nr. 245 des Behörden Spiegel.

Vor 50 Jahren, am 21. Oktober 1969, wurde mit Willy Brandt zum ersten Mal ein Sozialdemokrat im Deutschen Bundestag zum Bundeskanzler gewählt. Mit der von ihm eingeleiteten Entspannungspolitik wurde ein neues Kapitel in der Außenpolitik aufgeschlagen, mit der die Aufrüstungsspirale durchbrochen und tiefe Gräben zwischen Ost und West überwunden werden konnten. Heute steht die Welt vor nicht minder großen Herausforderungen: Die internationale Ordnung steht unter Druck, neue Bedrohungen und Risse in bestehenden Strukturen mit nicht kalkulierbaren Folgen sind unübersehbar.

Ohne Regeln, die für alle gelten, ohne Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und Transparenz nehmen die Spannungen zu – und zwar zum Nachteil aller Beteiligten. Deshalb muss es unser Ziel sein, die internationale Ordnung zu stabilisieren. Und das kann nur gelingen, wenn wir als Europäer innerhalb der EU geschlossen auftreten, auch bei der Frage, wie wir mit unseren östlichen Nachbarn außerhalb der EU umgehen wollen.

Wir benötigen daher eine neue europäische Ostpolitik – die anders als zu Zeiten des Kalten Kriegs – zwei Dimensionen hat: eine innere und eine äußere. Innerhalb der EU brauchen wir eine Kultur des gemeinsamen, abgestimmten ostpolitischen Handelns.

Denn nur dann kann eine starke und eine gemeinsame Politik gegenüber unseren Nachbarn außerhalb der EU überhaupt erst ermöglicht werden.

Angesichts der Vielzahl der Herausforderungen haben wir ein Interesse an einer möglichst engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Russland – auch das muss Ziel einer Europäischen Ostpolitik sein. Dazu bedarf es eines echten, ehrlichen Dialogs auf der Grundlage klarer Prinzipien.

Doch bei aller Bedeutung Russlands: Ostpolitik ist mehr als nur Russlandpolitik. Eine neue europäische Ostpolitik muss auch die Ukraine, Belarus, Moldau, den Südkaukasus, die Länder in Zentralasien sowie Südosteuropa umfassen. Deshalb wird Deutschland seine EU-Ratspräsidentschaft 2020 für neue Impulse in diesem Bereich nutzen.

Zu kaum einem anderen Land waren die Beziehungen in der Vergangenheit einem so starken Wechselbad ausgesetzt wie zu Russland. Leider hat Russland viel Vertrauen verspielt. Und trotzdem setzen wir uns dafür ein, Russland als Partner in der Außenpolitik zu haben, weil wir bei der Lösung der großen internationalen Konflikte – in der Ukraine, in Syrien oder beim iranischen Nuklearprogramm – ohne Russland nicht weiterkommen.

Seit seinem Amtsantritt im März 2018 hat sich Bundesaußenminister Heiko Maas bereits achtmal mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow getroffen. Und es hat sich seitdem einiges getan. Inzwischen wurden eine Vielzahl von bilateralen Formaten, die im Zusammenhang mit der Annexion der Krim eingestellt wurden, wieder reaktiviert: So gibt es seit November 2018 wieder die deutsch-russische Hohe Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik, die zur gemeinsamen Beratung und Abstimmung sicherheitspolitischer Fragen ganz entscheidend ist. Innerhalb der NATO hat Deutschland sich für die Einberufung des NATO-Russland-Rates stark gemacht, nachdem dieser mehrere Jahre nicht mehr getagt hatte.

Doch so wichtig enge politische Kontakte auch sind: Ohne den Kontakt zwischen den Menschen erwächst kein Vertrauen, das wir in unseren Beziehungen so dringend brauchen. 94 Prozent der Deutschen haben in einer kürzlich durchgeführten Umfrage angegeben, dass sie gute Beziehungen zu Russland für wichtig halten.

Wir haben das deutsch-russische Jahr der Hochschulkooperation ins Leben gerufen, damit sich junge Leute begegnen und gemeinsam studieren können. Unsere Forschungs-Roadmap mit Russland ist weltweit einmalig. Die SPD setzt sich dafür ein, dass für junge Menschen auf beiden Seiten die Visapflicht entfällt. Darüber hinaus haben wir mit der Humanitären Geste für die Opfer der Leningrad-Blockade endlich ein historisches Zeichen für die Leidtragenden eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte gesetzt.

Auch im wirtschaftlichen Bereich sind wir trotz aller Schwierigkeiten weiter eng verbunden. Über 4.500 deutsche Unternehmen sind in Russland präsent und haben in den letzten Jahren zahlreichen Investitionen vorgenommen.

Sanktionen sind für uns nie Selbstzweck, sondern sie sind ein politisches Instrument. Deutschland und Frankreich bemühen sich seit über vier Jahren gemeinsam im so genannten “Normandie-Format” darum, den Konflikt in der Ostukraine endlich politisch gelöst zu bekommen. Der Regierungswechsel in Kiew und der jüngst stattgefundene Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine haben wieder eine neue Dynamik in den festgefahrenen Konflikt gebracht. Möglicherweise kommt es in absehbarer Zeit wieder zu einem Treffen der Staats- und Regierungschefs – verbunden mit der Hoffnung auf konkrete Verbesserungen.

Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass dieser Konflikt ein Dauerkonflikt ist. Denn ein Ende der Sanktionen der Europäischen Union kann es nur bei signifikanten Fortschritten geben.

Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis des Behörden-Spiegel.