Friede in Nahost braucht langen Atem

Gastbeitrag von Nils Schmid in Welt Online vom 5. Februar 2024.

Gastbeitrag von Nils Schmid in Welt Online vom 5. Februar 2024.

Der barbarische Angriff der Hamas auf Israel mit mehr als 1000 Toten hat einen erneuten Krieg im Gaza-Streifen ausgelöst, der Schätzungen zufolge bislang über 20.000 Menschen das Leben gekostet hat und sich zu einem Flächenbrand entwickeln könnte. Mit den Angriffen der libanesischen Hisbollah und der Huthis aus dem Jemen wird diese Gefahr immer sichtbarer; das Rote Meer ist zum Risikogebiet für die internationale Schifffahrt geworden.

Deutschland hat sich in bisher nie dagewesener Weise in die diplomatischen Bemühungen zum Schutz Israels, zur Eindämmung des Krieges, zur Linderung der humanitären Katastrophe in Gaza und zur politischen Lösung des Nahost-Konflikts eingebracht. Die Bundesregierung, ihre amerikanischen und europäischen Partner, die arabischen Staaten und die UN – sie alle sind jetzt gefordert, mit langem Atem über den aktuellen Krieg hinaus an einer Friedenslösung zu arbeiten.

Dazu gehört auch eine ehrliche Analyse über Versäumnisse der Vergangenheit auf allen Seiten.

Es war ein Fehler von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der von ihm geführten Regierungen der letzten zwei Jahrzehnte, anzunehmen, man könne den israelisch-palästinensischen Konflikt lediglich verwalten und kraft militärischer Überlegenheit kontrollieren.

Der 7. Oktober hat ihm und uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass diese Strategie gescheitert ist. Die Debatte darüber, was sich in Israel ändern muss, wird dort bereits geführt. Wir vertrauen der Kraft der israelischen Demokratie.

Gleichzeitig hat die palästinensische Führung wegen Korruption und der Verweigerung von Wahlen viel Vertrauen im In- und Ausland verloren; radikale und terroristische Kräfte haben an Einfluss gewonnen. Die Abfolge von Intifada-Aufständen und Gaza-Kriegen beweist jedoch, dass ein freies Palästina nicht aus Gewalt und Terror entstehen kann.

Auch wir Deutschen und Europäer sind nicht frei von Fehleinschätzungen. Unser Engagement für eine politische Lösung hat in den vergangenen Jahren deutlich nachgelassen. Dies gilt erst recht für die amerikanischen Regierungen bis hin zu Präsident Joe Biden. Die Friedensabkommen Israels mit arabischen Staaten im Rahmen der „Abraham Accords“ sind zu begrüßen, doch nährten sie die Illusion, der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sei für den Frieden in der Region nachrangig.

Deutschlands Sicherheit entscheidet sich auch in Nahost

Schließlich sind wir Teherans destruktiver Regionalpolitik nicht konsequent genug entgegengetreten. Die Obama-Regierung und die Europäer haben viel Druck und Diplomatie eingesetzt, um ein Atomabkommen mit dem Iran zu schließen – völlig zu Recht eingedenk der von einer möglichen iranischen Nuklearbewaffnung ausgehenden Gefahr für Israel und die Stabilität in der gesamten Region.

Dieselbe Entschlossenheit hat gefehlt, um Irans Destabilisierungspolitik in seiner Nachbarschaft einzuhegen. Es war, im Nachhinein betrachtet, eine Fehlannahme, von dem Nuklearabkommen allein eine Veränderung der iranischen Innen- und Außenpolitik zu erwarten.

Deutschland und seine europäischen Partner müssen sich mehr denn je dauerhaft für Frieden und Stabilität im Nahen Osten einsetzen. Denn unsere Sicherheit entscheidet sich in unserer Nachbarschaft. Das hohe Engagement der letzten Monate kann nur der Anfang sein.

Langfristig müssen wir auch in dieser Region mit einem rückläufigen Engagement der USA rechnen, aber Amerikas Einfluss wird entscheidend bleiben. Wann und wo immer möglich, sollten wir auf ein abgestimmtes Vorgehen mit den Vereinigten Staaten setzen.

Israels Sicherheit ist Teil deutscher Staatsräson

Die politische Lösung des Israel-Palästina-Konflikts ist zentral und unaufschiebbar. Alle Überlegungen zum Kampf gegen die Hamas und für eine Übergangslösung in Gaza müssen eingebettet sein in eine solche Perspektive. Da die israelische Regierung und die palästinensische Führung aus unterschiedlichen Gründen zu schwach sind, um Verhandlungen einzuleiten, müssen internationale Akteure und arabische Partner sich viel mehr engagieren.

Hier sollte sich Deutschland, wie von Kanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung erläutert, intensiv einbringen. Handlungsleitend sind dabei unsere besondere Verantwortung für die gesicherte Existenz des Staates Israel und die universelle Geltung der Menschenrechte und des Völkerrechts. Konkret bedeutet dies eine Garantie für die Sicherheit Israels bis hin zu militärischer Unterstützung und den Einsatz für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung zur Beendigung der illegalen Besatzungspolitik.

Israels Sicherheit ist Teil deutscher Staatsräson. Das hat weitreichende Konsequenzen für die deutsche Außenpolitik: von der Lieferung von U-Booten über Terrorismusbekämpfung bis hin zur Abwehr von Delegitimierungsversuchen gegen Israel. Es bedeutet nicht, dass wir jede Maßnahme der jeweiligen israelischen Regierung gutheißen. So sind deutsche Regierungen den Annexionsbestrebungen und den zahllosen Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten kontinuierlich entgegengetreten.

Auch aktuell hat der Kanzler wieder an die Vorgaben des humanitären Völkerrechts erinnert. Die Art der israelischen Kriegsführung in Gaza und die Ablehnung einer Zwei-Staaten-Lösung durch Netanjahu schwächen Israels Stellung in der Welt und erschweren eine politische Verständigung. Ein taktischer militärischer Erfolg Israels sollte nicht in eine strategische Niederlage münden!

Der Schlüssel zur Eindämmung Irans in der Region liegt im Erhalt funktionstüchtiger Staaten und in deren gedeihlicher Entwicklung. Staatszerfall und Perspektivlosigkeit sind die Türöffner für die Ausdehnung des iranischen Einflusses über Proxys wie Hisbollah, Hamas oder die Huthis.