Der SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid und die SPD Leinfelden-Echterdingen luden am vergangenen Sonntag zu einer Lesung und Diskussion mit der renommierten Autorin und Osteuropa-Expertin Dr. Sabine Fischer zum Thema „Russlands Krieg gegen die Ukraine und Europa“ in die Echterdinger Zehntscheuer. Der Bürgersaal war bei diesem nach wie vor brandaktuellen Thema mit circa 80 Zuhörerinnen und Zuhörern vollbesetzt. Anlass für die Einladung war der internationale Frauentag am Vortag, dem 8. März.
Zunächst begrüßte MdB Nils Schmid die zahlreichen Besucherinnen und Besucher, darunter auch die ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Karin Roth und Rainer Arnold. Anschließend las Dr. Sabine Fischer, Osteuropa-Expertin bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik, Passagen aus ihrem aktuellen Buch „Die chauvinistische Bedrohung“ vor und antwortete auf die klugen Moderationsfragen von Nils Schmid sowie auf Fragen aus dem Publikum.
In Bezug auf Putin und dessen Regime habe man es mit drei zentralen Elementen zu tun, die das chauvinistische Regierungs-Milieu in Russland prägten, so Fischer: Zum ersten mit einem aggressiven Nationalismus und Chauvinismus. Zum zweiten mit einem gegen die Frauen gerichteten Sexismus und Patriarchat. Und zum dritten mit autokratischen Strukturen. Sabine Fischer hat in der jüngeren Vergangenheit in Russland geforscht und dabei den komplett anderen Blick der russischen Elite auf den Krieg in der Ukraine herausgearbeitet. Für Putin und sein Regime sei der Krieg eine unausweichliche geschichtliche Bedingung, der Westen werde als antirussische Bedrohung und als entschiedener Gegner gesehen.
Das russische Frauenbild sei traditionell bis sexistisch geprägt: Zwar habe es Mitte der 1980er Jahre unter Gorbatschow eine aktive Zivilgesellschaft inklusive einer Frauenbewegung gegeben. Allerdings sei es unter Putin direkt zu einem gesellschaftlichen Rollback gekommen: auf dem Papier existiere zwar die Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann fort, diese habe aber mit der Lebensrealität der Frauen in Russland nichts gemein. 2017 sei z.B. häusliche Gewalt zu einer Ordnungswidrigkeit heruntergestuft und damit entkriminalisiert worden. Neben diesem Sexismus ist ein übersteigerter Nationalismus eine weitere Säule in Putins Russland: ab den 2000er Jahren wurden nationalistische und imperialistische Ideologen und Denker in Russland öffentlich immer sichtbarer, z.B. im staatlich kontrollierten Fernsehen oder im Internet. Dabei seien die Demokratiebewegungen in der Ukraine, in Georgien oder in Belarus als Bedrohung für die eigene russische Identität wahrgenommen worden. Für Putin sei keine demokratische oder wirtschaftliche Alternative in den angrenzenden Staaten denkbar, weil diese Alternativen seine eigene autoritäre Herrschaft bedrohen würden.
Habe man es in Russland gar mit einem faschistischen Regime zu tun, fragt Nils Schmid. Sabine Fischer meint, dass es in Russland in jedem Fall faschistische und totalitäre Elemente gebe. So dringe der russische Staat in alle Lebensbereiche vor, z.B. in die Familie oder das Erziehungswesen. Auch die Repression gegenüber Andersdenkenden oder Minderheiten wirke totalitär. Was zur Ausprägung des klassischen Faschismus der 1930er Jahre in Deutschland oder Italien fehle, sei die ausbleibende Massenmobilisierung. Stattdessen werde die russische Bevölkerung durch eine Kombination aus Repression und Konsummöglichkeiten in duldsamer Apathie gehalten. Denn: der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine sei vor allem für das großstädtische Milieu in Russland kaum spürbar, das auch in Kriegszeiten weitestgehend ungestört leben und konsumieren kann.
Indem die USA unter Trump alle Hebel aus der Hand gegeben hätten, um Druck auf Putin auszuüben, sei dessen Regime weiter stabilisiert worden, kritisiert die Osteuropa-Expertin. Was die Zukunft der Ukraine betrifft, zeigt sich Sabine Fischer pessimistisch: Es drohe ein Großmacht-Deal zwischen Trump und Putin über die Köpfe der Ukraine und Europas hinweg. Das Ziel in Moskau sei ein Siegfrieden mit Trumps Hilfe. Russland sehe sich im Krieg mit dem gesamten Westen, was sich in einer hybriden Kriegsführung mit Desinformationskampagnen oder offenen Sabotageakten ausdrücke. Auch, wenn der Ukrainekrieg beendet sein sollte, werde dieser Konflikt gegen die EU und ihre Staaten weiter gehen, ist sich Fischer sicher. Auf Nachfragen aus dem Publikum betont die Wissenschaftlerin, dass die europäischen Staaten schnellstens in Vorlage treten und das Vakuum, das die USA militärisch und ideell hinterlassen habe, ausfüllen müssten. Ziel müsse sein, die Front innerhalb der Ukraine zu stabilisieren. Sonst drohe deren völliger Zusammenbruch und eine Kettenreaktion, die die Kriegsgefahr in den baltischen Staaten und unter Umständen auch in Polen massiv erhöhen würde. Fischer spricht sich vor diesem Hintergrund für eine Verschärfung der europäischen Russlandsanktionen aus, um mehr Druck auf Putins Regime auszuüben. Zudem bleibe den europäischen Staaten leider nichts anderes übrig, als massiv aufzurüsten und in ihre Verteidigungsfähigkeit zu investieren, so Fischer abschließend.
Bericht: SPD-Ortsverein Leinfelden-Echterdingen (huk)