Notfalls gegen die USA: Den Atomvertrag mit dem Iran retten!

Gastbeitrag von Nils Schmid in der Frankfurter Rundschau vom 13. Juli 2020. Der Atomvertrag mit dem Iran, vor genau fünf Jahren unterzeichnet, war ein Erfolg. Ihn muss Europa verteidigen. Gerade auch, wenn Donald Trump ihn zunichte machen will.

Am 14. Juli jährt sich die Unterzeichnung des Nuklearabkommens JCPOA zwischen dem Iran und den E3+3-Staaten (China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA) zum fünften Mal. Es war der gelungene Abschluss eines zwölf Jahre andauernden harten Ringens zwischen allen Beteiligten – eine Erfolgsgeschichte europäischer Diplomatie. Natürlich war bereits zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung allen bewusst, dass das Abkommen nicht perfekt war. Die destruktive Rolle, die der Iran in der Region spielt, wurde von dem Abkommen nicht erfasst. Aber das eigentliche Ziel, eine iranische Atombombe und damit einen nuklearen Rüstungswettlauf in der Region zu verhindern und zugleich eine strenge Überwachung durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) durchzusetzen, konnte erreicht werden.

Auch auf iranischer Seite waren mit dem Abkommen hohe Erwartungen verbunden. Als damaliger Wirtschaftsminister Baden-Württembergs konnte ich das Land wenige Wochen nach Vertragsunterzeichnung mit einer Wirtschaftsdelegation besuchen. Nach jahrelanger Isolation spürte man die Aufbruchstimmung. Dabei ging es dem Iran nicht allein um die Steigerung seiner Ölexporte, sondern um die wirtschaftliche Öffnung und Entwicklung des ganzen Landes und den dafür erforderlichen Technologietransfer.

Mit dem Amtsantritt von Donald Trump und dem im Frühjahr 2018 vollzogenen Austritt der USA aus dem Abkommen zerschlugen sich diese Hoffnungen. Zwar versuchen die europäischen Staaten seit 2019 mit Hilfe der eigens gegründeten Instex-Agentur zumindest kleinere Handelsaktivitäten mit dem Iran zu ermöglichen. Doch werden die europäischen Bemühungen die harten US-Sanktionen niemals vollständig aufwiegen können.

Zurzeit laufen die Vorbereitungen für den Export weiterer medizinischer Güter in den Iran. Insofern bleibt dieses Instrument ein wichtiger Baustein, um die Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Doch der Rückzug der USA ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht fatal. Er sendet auch ein verheerendes abrüstungspolitisches Signal in die Welt.

Während der Iran sich laut IAEO immer an die Vereinbarungen des Abkommens gehalten hatte, traf sich Donald Trump seit 2018 gleich dreimal mit dem nordkoreanischen Herrscher Kim Jong Un, ohne dafür eine einzige Gegenleistung zu verlangen.

Diese Aufwertung eines Regimes, das sich selbst rühmt, im Besitz von Nuklearwaffen und Trägersystemen zu sein, die offenbar sogar die Westküste der USA erreichen können, steht in einem eklatanten Widerspruch zur Iranpolitik der gegenwärtigen US-Administration. Vereinfacht gesagt lautet die Botschaft: Wer sich an Verträge hält, wird bestraft – wer sich dagegen Atomwaffen zulegt, wird belohnt.

Und noch etwas sollte uns alle beunruhigen: Der Iran hat seine Anreicherungsaktivitäten seit 2019 wieder sukzessive erhöht. Damit steigt das Risiko eines nuklearen Wettlaufs in der Region. Sollten Anrainerstaaten wie Saudi-Arabien zu der Überzeugung gelangen, die iranische Bombe sei nicht mehr zu verhindern, wird vermutlich auch niemand sie davon abbringen können, selbst zur Atommacht aufzusteigen, zumal das Vertrauen in die USA als regionale Schutzmacht stark gelitten hat. Denn offensichtlich konnte Washington seine Verbündeten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, nicht mal vor Raketenangriffen der mit dem Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen schützen.

Doch damit nicht genug: Am 18. Oktober läuft das internationale Waffenembargo gegen den Iran aus. Die USA drängen auf eine Verlängerung und haben bereits für den Fall, dass Russland und China ihr Veto einlegen, angekündigt, den „Snap-back“-Mechanismus zu aktivieren, der ein sofortiges Wiederinkrafttreten aller Wirtschaftssanktionen und Reisebeschränkungen aus der Zeit vor dem JCPOA vorsieht. Allerdings haben die USA mit dem Austritt zugleich ihr Recht verwirkt, diesen Schritt zu vollziehen. Denn er ist allein den Vertragsteilnehmern vorbehalten.

Insgesamt schwächen die USA mit ihrem einseitigen Vorgehen nicht nur das Völkerrecht, sondern auch all die notwendigen Anstrengungen, die aggressive Politik des Iran einzudämmen. Eine realistische Aussicht, der Diplomatie in diesem festgefahrenen Konflikt wieder eine Chance zu geben, besteht nur, wenn es am 3. November zu einem Wechsel im Weißen Haus kommen sollte. Bis dahin muss es darum gehen, eine weitere Eskalation zu verhindern.

Für uns Europäer sollte das Verhalten der USA in den zurückliegenden Jahren jedoch grundsätzlich Anlass genug sein, unsere eigene Souveränität auf allen Politikfeldern, auch auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik, voranzutreiben. Die Zeiten, in denen wir mit Washington immer an einem Strang zogen, sind unwiederbringlich vorbei. Europa muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, um seine Interessen notfalls auch gegen Washington behaupten zu können.