Ich will nicht der letzte Besucher einer Demokratie in Thailand gewesen sein

In Thailand protestieren vor allem die Jungen gegen den unpopuläreren König und seine Regierung. Deutschland muss die Proteste unterstützen und nicht Urlaubsort für den König sein, meint in einem Gastbeitrag auf welt.de Nils Schmid.

29. April 2014: Eine Wagenkolonne fährt in die verlassene Tiefgarage eines Bürokomplexes im Zentrum Bangkoks, die kleine Delegation wird von Sicherheitskräften in Aufzüge begleitet und in offensichtlich provisorische Büroräume geführt. Kurz darauf stehe ich einer zierlichen Dame gegenüber, die ruhige Gelassenheit ausstrahlt: Yingluck Shinawatra, der letzten demokratisch gewählten Premierministerin Thailands.

Sie erläutert ihr – durchaus umstrittenes – Wirtschaftsprogramm. Eine Woche später wird sie abgesetzt, und die Armee übernimmt die Macht. Wieder einmal Militärdiktatur, wieder einmal die Rückkehr der Elite aus Königshaus, Big Business und Streitkräften.

Sechs Jahre später stehen ein unpopulärer König und ein durch unsaubere Wahlen an die Regierung gekommener Ex-General einer vor allem von der jungen Generation getragenen Volksbewegung für Demokratie und freie Wahlen gegenüber. Korruption und Perspektivlosigkeit machen sich breit und enthüllen die Unfähigkeit der Herrschenden. Die Proteste lehnen sich an das Vorgehen der Demokratiebewegung in Hongkong an; Aktivisten in Hongkong, Taiwan und Thailand vernetzen sich.

Als „Milk Tea Alliance“ widersetzen sie sich dem Einfluss Chinas in der Region und setzen einen neuen Impuls für die (Re-)Demokratisierung Südostasiens. Unter der Oberfläche des vermeintlichen Vormarsches autoritärer Herrschaft lodert das Feuer von Freiheit und Demokratie. Dieser Einsatz verdient unsere Unterstützung.

Deutschland kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Innerhalb der EU sollten wir die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen dazu nutzen, wesentliche Elemente von Menschenrechten und Demokratie zu verankern und soziale und ökologische Nachhaltigkeitsstandards wie die Einhaltung von ILO-Kernarbeitsnormen zu Gewerkschaftsrechten zu vereinbaren.

Unser bilaterales Verhältnis zu Thailand ist neben vielfältigen Wirtschaftsbeziehungen vor allem von der großen Nähe vieler Thais zu Deutschland geprägt. Besonders gilt das für den König und seine Geschwister. Gerade die langen Aufenthalte von König Rama X. in Deutschland bringen eine besondere Verantwortung für die deutsche Politik. Selbstverständlich können der König und seine Familie zum Urlaub nach Deutschland reisen, und die Wahl der Staatsform ist allein Angelegenheit der Bürger Thailands. Genauso klar ist aber auch, dass der Aufenthalt hier rein privater Natur ist und nicht völkerrechtswidrig zur Führung von Regierungsgeschäften genutzt werden darf.

Angesichts der angespannten Lage in Thailand und eingedenk der in der Vergangenheit vom Königshaus gebilligten Putsche muss der neue König Rama X. als Oberbefehlshaber der Streitkräfte verstehen, dass die Probleme friedlich und auf dem Wege des Dialogs gelöst werden können. Sollte das Militär die Protestbewegung blutig niederschlagen, trüge der König dafür die Verantwortung und wäre in Deutschland nicht mehr willkommen.

Noch besteht Hoffnung: Gewalttätige Provokationen königstreuer Aktivisten blieben bislang aus, das Parlament diskutiert Reformen. Eine Öffnung des politischen Prozesses für alle im Land tätigen politischen Kräfte, mehr Freiheit für die Presse, ein vollständiger Rückzug der Militärs aus der Politik, eine Stärkung des Parlaments als dem zentralen Ort nationalen Dialogs – den Verantwortlichen in Thailand stehen viele Wege offen, damit ich nicht der letzte Besucher einer demokratischen Regierung in Thailand gewesen bin. Mit einem Satz: Thailand sollte mehr Demokratie wagen!

Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Von 2011 bis 2016 war er Wirtschafts- und Finanzminister von Baden-Württemberg. Artikel auf welt.de unter https://www.welt.de/debatte/kommentare/article220891756/Nils-Schmid-Ich-will-nicht-der-letzte-Besucher-einer-Demokratie-in-Thailand-gewesen-sein.html