Pipelinestreit mit den USA

Wie wir uns mit Antony Blinken über Nord Stream 2 einigen können. Viel zu lange schon vergiftet die Pipelinedebatte die transatlantische Freundschaft. Dabei ist der Streit über Gasimporte aus dem Osten weder neu noch unlösbar: Der neue US-Außenminister hat schon 1987 eine Lösung vorgezeichnet. Nils Schmid äußert sich zum Pipelinestreit in einem Gastbeitrag für den Spiegel.

Seit der Bestätigung durch den Senat am vergangenen Dienstag ist Antony Blinken der 71. Außenminister der USA. Nach vier langen Jahren, in denen Donald Trump und Mike Pompeo um die Welt irrlichterten, kehrt endlich wieder Vernunft und Professionalität in die amerikanische Außenpolitik zurück. Der erfahrene Diplomat steht vor einer historischen Herausforderung: Die alte Weltordnung, maßgeblich durch die USA errichtet, liegt nach Trump teilweise in Trümmern. »Build Back Better« wird deshalb nicht nur eine innenpolitische Aufgabe – sondern auch eine globale.

Da die Neubelebung der transatlantischen Beziehungen – ein zentrales Wahlversprechen Bidens – auch Kernanliegen unserer Außenpolitik ist, sollten wir belastende Streitthemen angehen. Ein guter Start wären Nord Stream 2 und die amerikanische Sanktionspolitik, denn mit Antony Blinken haben wir nun einen geradezu prädestinierten Partner für ein gemeinsames Vorgehen.

Viel zu lange schon vergiftet die Pipelinedebatte die transatlantische Freundschaft. Sie führte dazu, dass der US-Kongress harte Sanktionen gegen europäische Firmen erließ und US-Senatoren einen deutschen Hafen mit finanziellem Ruin bedrohten. Und auch in der EU entstand ein tiefer Riss wegen der Röhre, die von Polen und Balten vehement abgelehnt wird. Viel Aufregung also um eine Pipeline, die noch nicht einmal fertig gebaut wurde, während russisches Gas unvermindert nach Europa strömt und US-Ölimporte aus Russland in den letzten Jahren sogar zunahmen.

Die Erkenntnisse des jungen Blinken können auch heute noch als Orientierungshilfe dienen – und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks. Der transatlantische Streit über Gasimporte aus dem Osten ist weder neu noch unlösbar. Das zeigt das Buch »Ally vs. Ally: Amerika, Europa und die sibirische Pipeline-Krise«, das der heutige US-Außenminister bereits 1987 veröffentlichte. Aufgrund der vielen Parallelen, die es zu dem im Buch analysierten Pipelinekonflikt der Reagan-Jahre gibt, können uns die Erkenntnisse des jungen Blinken auch heute noch als Orientierungshilfe dienen – und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks.

Laut Blinken zwang »Washington … souveräne verbündete Staaten und unabhängige ausländische Unternehmen, Dinge zu tun, die aus deren Sicht den eigenen staatlichen und geschäftlichen Interessen zuwiderliefen. Das Embargo war für die Europäer ein unerhörter Affront, denn in ihrer Wahrnehmung nahmen damit die Vereinigten Staaten dreist das Recht für sich in Anspruch, Handels- und Außenpolitik für ihre Bündnispartner zu betreiben – ob es diesen nun passte oder nicht.«

Damals wie heute gilt, was Helmut Schmidt im Interview für das Buch erklärte: »Wir werden nicht zulassen, dass die Vereinigten Staaten uns in diesem Punkt unserer Wirtschaftspolitik Vorschriften machen.« Nach Ansicht Blinkens »zeigt sich darin die Auffassung der Bündnispartner Amerikas, dass der Nordatlantikpakt, dem sie beigetreten waren, nicht als Schwert, sondern als Schutzschild dienen sollte.« Er folgerte weiter: »Wenn das Konzept der Nato als einer Struktur zur Wahrung der kollektiven Sicherheit weiterhin gilt, so folgt daraus, dass aggressive Handelsblockaden politisch nicht akzeptabel sind.«

Nord Stream 2 zur Nagelprobe für den Umgang mit Putin hochzustilisieren und die Milliardeneinnahmen Russlands aus laufenden Öl- und Gasexporten auszublenden, ist unredlich. Damals wie heute kann der Versuch nur scheitern, einen Bündnispartner zur Gefolgschaft bei der wirtschaftlichen Kriegsführung zu zwingen – und letztlich nur den Zusammenhalt des Westens schwächen. Blinken trifft es auf den Punkt: »Bündnispolitik muss, kurz gesagt, aus dem Kompromiss heraus entstehen, nicht aus Zwang.« Aufgrund der Nato-Osterweiterung heißt das für uns heute aber auch, dass wir die Bedrohungswahrnehmungen der östlichen Bündnispartner einbeziehen müssen.

So könnten wir gemeinsam vorankommen:

Die Biden-Regierung legt die Sanktionen gegen den Bau der Pipeline auf Eis. Deutschland ermöglicht die Vollendung der Anlage, stellt deren Inbetriebnahme aber zurück. Amerikaner und Europäer eröffnen Konsultationen darüber, ob und inwieweit energiepolitische Sanktionen gegen Russland sinnvoll sind. Diese sind ergebnisoffen, umfassen allerdings die Gesamtheit energiepolitischer Kooperation mit Russland.

Nord Stream 2 zur Nagelprobe für den Umgang mit Putin hochzustilisieren und die Milliardeneinnahmen Russlands aus laufenden Öl- und Gasexporten auszublenden, ist unredlich. Die USA und die EU müssen sich klar darüber werden, ob sie ein Öl- und Gasembargo gegenüber Russland tatsächlich wollen und welche politischen Ziele sie im Verhältnis zu Russland mit solchen historisch einmaligen Sanktionen erreichen wollen (Freilassung Nawalnys? Freie Wahlen in Belarus? Rückgabe der Ostukraine? Oder der Krim?). Denn Sanktionen funktionieren nur dann, wenn sie breit zwischen Partnern abgestimmt sind und ein klares politisches Ziel verfolgen, also eine präzise definierte Verhaltensänderung des sanktionierten Landes anstreben.

Teil dieser Beratungen müssen aber auch alternative Sanktionsformen wie die Beschlagnahme des Vermögens von russischen Oligarchen und das konsequente und abgestimmte Vorgehen gegen Geldwäsche und Briefkastenfirmen sein. Schließlich muss auch einfließen, dass die Biden-Regierung und die Europäer bei Klimaschutz und Abrüstung mit Moskau zusammenarbeiten wollen.

Bei alldem sollten wir die Worte Blinkens im Hinterkopf behalten: »Wird ein harmonischeres Bündnis angestrebt und nicht etwa eines, das sich an einer so grundlegenden Frage wie den Ost-West-Handelsbeziehungen entzweit, so wird dies den Westen weitaus eher in die Lage versetzen, den Herausforderungen seiner Gegenspieler standzuhalten.

Nils Schmid, Jahrgang 1973, ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Bis 2016 war er Wirtschafts- und Finanzminister in Baden-Württemberg. Artikel auf spiegel.de unter https://www.spiegel.de/politik/deutschland/antony-blinken-wie-wir-uns-mit-dem-neuen-us-aussenminister-zu-nord-stream-2-einigen-koennen